Eine beschleunigte Abkehr von Erdgas und Heizöl bei der Wärmeversorgung: Diesen Wunsch haben immer mehr Menschen – und das mit gutem Grund. Klimawandel und Energiewende fordern einen schnellstmöglichen Ersatz von fossilen Energieträgern durch erneuerbare Energien (EE). Kriege wie der von Russland in der Ukraine, legen die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen offen – und den Wunsch, diese zu beenden. Auf klimafreundliche Art gelingt das dauerhaft nur mit Erneuerbaren. Im Klimaschutzprogramm der Universitätsstadt Tübingen, das bis 2030 Klimaneutralität anstrebt, ist daher der Sektor „Wärme“ eine der großen Säulen. Das Interesse an der Fernwärme der Stadtwerke steigt spürbar. Liegt die Wärmeabgabe aktuell noch bei 160 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr, so könnte bis 2030 eine potenzielle Zielgröße von 250 GWh (und mehr) erreicht werden.
Schwerpunkt bei Erzeugung: Hohe Wärmequalität durch Erneuerbare
Fernwärme wird heute noch zum Großteil mit Erdgas erzeugt. Das ist zwar klimaschonender als manch andere Heizungslösung, für eine echte klimafreundliche Fernwärme sind jedoch größere Anteile erneuerbarer Energien in der Erzeugung nötig. Erneuerbare sorgen für eine bessere Wärmequalität. Die Qualität der Fernwärme im Netz Tübingen zu steigern, ist schon länger Teil der swt-Strategie und bildet auch für die Zukunft ein Kernziel. Mit innovativen Projekten – beispielsweise die Nutzung industrieller Abwärme – haben die swt bereits alternative Wärmequellen in ihr Fernwärmenetz integriert. Ähnliches gilt für das Nahwärmeprojekt in der Alten Weberei (2012), wo Faulgase der Tübinger Kläranlage als Energieträger zur Wärmeerzeugung genutzt werden.
Die Attraktivität der Fernwärme steigt mit ihrer Qualität, die umso höher liegt, je besser (das heißt niedriger) die CO2-Bilanz ausfällt. Fernwärme wird dadurch gleichzeitig zukunftssicher gemacht. Netzausbau sowie neue Erzeugungsanlagen haben größere Aussichten auf Fördermittel und: Je höher der EE-Anteil, desto größer auch langfristig die Preisstabilität.
Kommunale Wärmeplanung bietet erste Orientierung
Mit der Novelle des Klimaschutzgesetzes des Landes Baden-Württemberg wurden alle großen Kreisstädte verpflichtet, bis Ende 2023 einen Wärmeplan vorzulegen. Die von der Universitätsstadt Tübingen beauftragte Kommunale Wärmeplanung (KWP) soll im Laufe des Herbstes 2022 abgeschlossen werden. Im Zuge der KWP wird ein Katalog an Parametern für sogenannte ‚Fernwärmeeignungsgebiete‘ erarbeitet – als Basis für erste Ausbauplanungen und Entwicklungshorizonte für die nächsten Jahre.
Drei Bausteine der Wärmenetz-Transformation
Analysen, die von den swt im Zuge der KWP bereits vorgenommen wurden, nutzen die Stadtwerke bereits, um Ausbauplanungen voranzutreiben. Bei ihrer Fernwärme-Strategie nehmen sie drei zentrale Bausteine der Wärme-Transformation in den Fokus. In den nächsten fünf Jahren liegt das Hauptaugenmerk auf den beiden ersten Bausteinen, für die die Stadtwerke Tübingen rund 100 Millionen Euro investieren werden: EE-Erzeugungsanlagen und der Bau von sogenannten Hauptentwicklungsachsen.
Baustein I: Klimafreundliche Wärmeerzeugung
Neue Wärme-Erzeugungsanlagen, die mit erneuerbaren Energien arbeiten, sollen den EE-Anteil in der Fernwärme insgesamt erhöhen. Ein Element im Osten Tübingens soll ab 2024 der geplante Solarthermiepark Au werden und rund 6 GWh Wärme liefern. An der Tübinger Kläranlage planen die swt, die Abwasser-Abwärme mit Hilfe von Wärmetauschern, Wärmepumpen und Wärmespeicher für das Fernwärmenetz nutzbar zu machen. In Zwischenschritten kommen hierbei zunächst 42 GWh (2024) und später zusätzliche 21 GWh Wärme (2026) pro Jahr zusammen. Zeitlich noch weiter entfernt sind Überlegungen für ein Holzheizwerk, das an einem für das Wärmenetz strategisch geeigneten Standort im Tübinger Südwesten z.B. in Derendingen oder Weilheim gebaut werden und ab circa 2028 40 weitere GWh Wärme liefern könnte.
Baustein II: Systematischer Wärmetransport
Bevor die Fernwärme in kleineren Verteilnetzen über den Hausanschluss bis ins Gebäude kommen kann, muss sie zunächst größere Distanzen von den Erzeugungsanlagen ausgehend überwinden – bisweilen quer durch die Stadt. Dafür planen die Stadtwerke Tübingen Transportleitungen mit mehreren Kilometern Länge entlang strategisch günstiger Hauptentwicklungsachsen. Strategisch günstig deshalb, weil sie die aktuellen und zukünftigen Erzeugungsanlagen in das zukünftige Fernwärmenetz mit einbinden und dadurch die Voraussetzungen für einen Netzausbau in der Fläche schaffen. In rund fünf Jahren sollen die Leitungen entlang der Hauptentwicklungsachsen fertig sein.
Einige davon lassen sich im Wärmenetzverbund Süd bereits ausmachen: Hechinger Eck – Memminger Straße – Primus-Truber Straße; Eugenstraße – Schellingstraße bis Konrad Adenauer Straße (Bereich Kreissparkasse); Konrad Adenauer Straße – Wilhelm-Keil Straße – Raichbergstraße bis Primus-Truber-Straße; Brunnenstraße – entlang Radweg Österberg bis Auelehöfe ; Aeulehöfe und Aeule; Aeulehöfe – Lustnauer Mühle – Dorfackerstraße – Neuhaldenstraße; Industriegebiet Unterer Wert; Nauklerstraße bis Frischlinstraße; Rappstraße bis Gerstenmühlstraße.
Baustein III: Flächenausbau in Eignungsgebieten
Mit den Hauptentwicklungsachsen schaffen die swt in den nächsten fünf Jahren zunächst die leitungstechnische Grundlage, um danach wieder größere Gebiete in der Fläche zu erschließen. Besonders gut – und mit einer dann hohen Erschließungsgeschwindigkeit – eignen sich die Gebiete zwischen bzw. entlang der Hauptentwicklungsachsen.
Mit ihrer Fernwärme-Strategie rücken die Stadtwerke Tübingen also die langfristigen Ziele in den Fokus – um bei der Wärme einen möglichst großen Beitrag zu den Klimaschutzzielen Tübingens 2030 zu leisten. Das heißt: In den nächsten Jahren planen die swt eher weniger punktuelle, räumlich begrenzte Fernwärme-Erschließungen. Stattdessen konzentrieren sie sich, mit den für eine solche umfassende Wärmetransformation nötigen personellen und finanziellen Ressourcen auf die infrastrukturellen Grundlagen im Wärmenetz, um danach mit mehr Kapazitäten und Möglichkeiten größere Gebiete zu erschließen.
Entwicklung der Fernwärmepreise und Optionen für Bürgerinnen und Bürger
Trotz aller strategischer Planungen und einem großen personellen Einsatz auf Seiten der Stadtwerke steht fest: Der Umbau der Fernwärme auf erneuerbare Energien und der Netzausbau in größerem Stil brauchen Zeit. Ebenso zeichnet sich bereits ab, dass sich die steigenden Preise an den Energiebörsen auch bei der aktuell noch überwiegend mit Erdgas erzeugten Fernwärme ab Januar 2023 in deutlich höheren Preisen niederschlagen werden.
Doch welche Optionen bleiben den an Fernwärme interessierten Bürgerinnen und Bürgern? Konkrete Anfragen an die Stadtwerke, ob bestimmte Straßen oder Adressen in absehbarer Zeit mit Fernwärme erschlossen werden, können – aufgrund der Komplexität bei der Erschließungsplanung – nur in wenigen Einzelfällen zufriedenstellende Aussagen bringen. Je weiter der Bau der Hauptentwicklungsachsen in den nächsten Jahren vorangeschritten ist, desto konkreter werden auch wieder Erschließungs- und Anschlussplanungen in der Fläche. Bei akutem Handlungsbedarf bietet die „Agentur für Klimaschutz Tübingen“ eine unabhängige und individuelle Beratung zu den Themen Energie- und Wärmeversorgung an.