Mit dem Bauunternehmen LEONHARD WEISS arbeiten die Stadtwerke Tübingen bereits seit vielen Jahren erfolgreich beim Leitungsnetzbau im Tübinger Stadtgebiet zusammen. Eine Machbarkeitsstudie für das Amt für Hochbauten der Stadt Zürich kam 2022 zu dem Ergebnis, dass durch die Elektrifizierung einer Baustelle die verursachten Schadstoff- und Treibhausgasemissionen deutlich gesenkt werden können – selbst wenn die Emissionen bei der Produktion von E-Baumaschinen höher liegen als bei konventionellen fossil betriebenen Baumaschinen [1]. Damit bieten sich in der Baubranche enorme Hebel, um Emissionen in großem Umfang zu reduzieren. Wie klimaneutrale Baustellen funktionieren, kann man bereits vor allem auch in skandinavischen Ländern beobachten. Kopenhagen erprobte bereits 2020/2021 die erste emissionsfreie Baustelle und Oslo verfolgte 2021 seinen Ansatz einer Null-Emissions-Baustelle in der Osloer Innenstadt.
Mit der Pilot-Baustelle in der Metzgergasse soll jetzt auch in Tübingen ein Zeichen gesetzt und das Konzept der „klimabewussten Baustelle“ einem Praxistest unterzogen werden. Ziel des Pilotversuchs: Im Echtbetrieb ausprobieren, welche Möglichkeiten und eventuell auch Grenzen für grünen Tiefbau bestehen – und dabei vor allem auch unmittelbare Entlastung vor Ort in der Tübinger Altstadt für Passanten sowie Anlieger erzielen. Zumindest für eine Weile, denn die emissionsarmen Tiefbauarbeiten sind ab dem zweiten Bauabschnitt (von insgesamt fünf in der Metzgergasse) vorgesehen. Ein Vergleich zum ersten, herkömmlich bearbeiteten Bauabschnitt ist somit direkt erlebbar.
Und so arbeitet LEONHARD WEISS in der Metzgergasse konkret:
- Alle Baumaschinen auf der Baustelle sind elektrisch angetrieben, um eine bestmögliche Emissions- und Lärmreduktion zu erreichen. Es kommen der E-Radlader Volvo L25 Electric, der Raddumper Wacker Neuson DW15e sowie das baustellentypische Schlüsselgerät, der E-Minibagger TB260E, welcher von SUNCAR auf Basis eines konventionellen Takeuchi TB260 aufgebaut wird, zum Einsatz.
- Darüber hinaus werden die Kleingeräte so weit wie möglich durch akkubetriebene Alternativen ersetzt. So kommen beispielsweise elektrische Rüttelplatten und Stampfer zum Einsatz.
- Eine klimabewusste Stromversorgung wird durch den Einsatz von erneuerbaren Energien sowie einer Photovoltaikanlage auf dem Baustellencontainer vor Ort gewährleistet. Die Photovoltaikanlage stammt aus einem gemeinsamen Entwicklungsprojekt von LEONHARD WEISS und EKU Power Drives zur emissionsfreien Stromerzeugung von Baustellen.
- Ein klimabewusster Betrieb der Bestandsnutzfahrzeuge wie LKW und Pritschenwagen erfolgt mit Hilfe der Betankung mit HVO. Dieser Dieselersatztreibstoff wird aus erneuerbaren Rohstoffen wie beispielsweise gebrauchtem Speiseöl und tierischen Fetten aus Abfällen der Lebensmittelindustrie hergestellt. Dadurch ergeben sich im Kraftstofflebenszyklus Einsparungen von bis zu 90 Prozent CO2 ein. Durch die Nutzung der emissionsarmen Geräte und HVO-betriebenen Fahrzeuge können nach Hochrechnungen von LEONHARD WEISS pro Monat bis zu sechs Tonnen klimaschädliches CO2 eingespart werden.
„Die Stadtwerke Tübingen sind bereit, für mehr Klimaschutz im wahrsten Sinne des Wortes jeden Stein umzudrehen – auch auf ihren Baustellen“, sagt Hanno Brühl, Prokurist und Bereichsleiter Energie & Innovation der swt. „Wir haben deshalb mit unserem langjährigen Partner LEONHARD WEISS dieses Pilotprojekt einer klimabewussten Baustelle gestartet. Spannend wird am Ende sein, wie groß die Unterschiede unmittelbar auch vor Ort für die Umwelt und Menschen im Vergleich zu den anderen herkömmlichen durchgeführten Bauabschnitten in der Metzgergasse ausfallen. Ob diese Form des Tiefbaus eine Zukunft hat, hängt langfristig auch davon ab, ob klimabewusster Tiefbau dem konventionellen bei den Kosten und dem Mehraufwand den Rang ablaufen kann. Bautätigkeiten der Stadtwerke Tübingen werden in den nächsten Jahren jedenfalls deutlich zunehmen, denn die Transformationen bei Wärme, Strom und Mobilität lassen sich nicht ohne Baustellen bewerkstelligen.“
Robert Kreß, Geschäftsführer Straßen- und Netzbau bei LEONHARD WEISS, sagt: „Den Grundstein dafür, die Baustelle in der Metzgergasse auf klimabewusste Art zu realisieren, legten die Aufgeschlossenheit und das rege Interesse der Stadtwerke Tübingen für dieses Thema. Tübingen ist deutschlandweit bekannt als eine sehr offene und fortschrittliche Stadt mit starkem Pioniergeist. Dies spiegelt sich auch in der Entwicklung und im Ausbau ihrer städtischen Infrastruktur wider. Als LEONHARD WEISS freuen wir uns, die Baumaßnahme mithilfe unserer HVO-betriebenen Baumaschinen und E-Geräte realisieren zu dürfen. Mit diesem Pilotprojekt zeigen wir, dass Bauarbeiten auf klimabewusste Art erfolgen können.“
Kosten und Geräteverfügbarkeit entscheidend für mehr emissionsfreie Baustellen
Wie bei vielen technischen Geräten oder Fahrzeugen, die klimabewusster sind als fossil betriebene – man denke an E-Autos oder E-Busse – sind auch alternativ oder gar rein elektrisch angetriebene Baumaschinen und Geräte teurer. Zudem steht das verfügbare Maschinenportfolio an E-Maschinen noch in keinem Verhältnis zu der konventionellen Produktsparte. Darüber hinaus müssen die Einsätze von E-Baufahrzeugen und -Maschinen aufgrund der notwendigen Ladezeiten anders geplant werden. Das erhöht derzeit noch die Kosten für emissionsarme Baustellenarbeiten. Für die klimabewusst geplanten Bauabschnitte in der Metzgergasse liegen die Mehrkosten gegenüber der herkömmlichen Tiefbauweise im niedrigen fünfstelligen Bereich. Diese teilen sich die Stadtwerke und LEONHARD WEISS jeweils zur Hälfte. Der Pilotversuch in Tübingen soll deshalb aus Sicht der Stadtwerke Tübingen auch aufzeigen, ob diese Mehrkosten für die vermiedenen Emissionen verhältnismäßig sind.
Aus der Perspektive als Bauherr sehen die Stadtwerke derzeit noch nicht das Preisniveau erreicht, bei dem sich emissionsarmes Bauen flächendeckend und als allgemeiner Standard etablieren könnte. Zudem darf der Einsatz klimabewusster Baugeräte die Baustellenplanung oder gar die Bauzeiten nicht negativ beeinflussen.
Richtig zukunftsfähig wird der Ansatz aus Sicht der swt dann, wenn sich die Kosten für klimabewussten Tiefbau den Preisen für herkömmlichen Tiefbau angeglichen haben – oder bei perspektivisch stark steigenden Öl-, Kraftstoff- und CO2-Preisen sogar darunterfallen.
[1] Quellen: https://www.stadt-zuerich.ch/hbd/de/index/hochbau/bauen-fuer-2000-watt/grundlagen-studienergebnisse/2022-08-nb-ebaustellen.html; https://intep.com/projekte/e-baustellen-in-der-stadt-zuerich/